Krebsstudie: Völlig Wurst

Jedes zweite Lebensmittel, das wir zu uns nehmen ist krebserregend. Aber nur wenn man Wissenschaftlern, die entsprechende Studien am laufenden Band und oft ohne fundierte Belege publizieren, glaubt. Diese kritische Einschätzung vertritt John Ioannidis, Professor für Krankheitsprävention an der kalifornischen Stanford-Universität. Bei der aktuellen Krebsstudie der Weltgesundheitsorganisation WHO die kürzlich die alpenländischen Feinschmecker, Viehzüchter, Fleischer […]

Lesen ist gelegentlich gefährlicher als essen. Die neue Krebsstudie um die Wurst und rotes Fleisch hat womöglich eine böse Nebenwirkung: Sie kann durch das Lesen krank machen.

Jedes zweite Lebensmittel, das wir zu uns nehmen ist krebserregend. Aber nur wenn man Wissenschaftlern, die entsprechende Studien am laufenden Band und oft ohne fundierte Belege publizieren, glaubt. Diese kritische Einschätzung vertritt John Ioannidis, Professor für Krankheitsprävention an der kalifornischen Stanford-Universität.

Bei der aktuellen Krebsstudie der Weltgesundheitsorganisation WHO die kürzlich die alpenländischen Feinschmecker, Viehzüchter, Fleischer und die Nahrungsmittelindustrie in Abwehrhaltung versetzt haben ist er weniger beschwichtigend. Dem WHO-Bericht zufolge zählt fleischliche Nahrung zu den 113 gefährlichsten Krebserregern, den Group 1, carcinogenic to humans, und ist in einer Kategorie mit Asbest, Plutonium bis hin zu Alkohol und Tabak. Professor Ioannidis findet es richtig, dass die WHO auf dieses Gefahrenthema hinweist, die Heftigkeit und Bedrohlichkeit, die von der Studie ausgeht, ist seiner Meinung nach jedoch übertrieben. Er schätzt die Gefahrenrate deutlich geringer, nämlich “auf einen Bruchteil” der von der WHO genannten Krebsfälle ein.

Die Menge macht die Dimension des Problems. Nach dem großen Aufschrei infolge der Krebsstudie der WH0, wird jetzt auf breiter Basis beschwichtigt. Aber selbst der Landwirtschaftsminister wagt es nicht, die Gefahr, die vom Traditionsgenuss durch Wurst und Speck ausgeht, wegzuwischen.

Lesen kann Krebs verursachen

Ein Aspekt der Studie ist bis jetzt jedoch weitgehend unerwähnt geblieben, nämlich die Gefahr der Studie selbst. Aus der Placeboforschung ist bekannt, dass Gesundheit scheinbar oder auch anscheinend grundlos ansteckend sein kann. Seit einiger Zeit ist ein weiterer Aspekt der Placebowirkung unbestritten: der Nocebo-Effekt. Und zwar geht es hier um die gleiche Wirkung, jedoch eine andere Zielrichtung. Während bei Placebo durch Scheinversprechen eine heilende Wirkung eintreten kann, ist dies bei Nocebo genau umgekehrt. Man kann damit Menschen auch krankbeten. Schon das Wissen um eine Krankheit kann solche Nocebo-Effekte auslösen. Ein bekanntes Phänomen dieser Art ist das sogenannte “Medical Student´s Disease”, bei dem Medizinstudenten überzeugt sind, an den Symptomen der von ihnen studierten Krankheit zu leiden.

Die Bedeutung dieser Nocebo-Effekte ist nach Ansicht von Prof. Ulrike Bingel an der Klinik für Neurologie an der Universitätsklinik Essen im klinischen Alltag oft unterschätzt. Obwohl diese wissenschaftlich gut belegt sind. Bekannt ist beispielsweise eine Untersuchung bei der festgestellt wurde, das Personen, die alle Nebenwirkungen von einem eingenommenen Medikament auf dem Beipackzettel ausführlich lesen, in der Folge signifikant oft auch diese Nebenwirkungen erleiden. Dass der Beipackzettel krank macht, ist in der Pharmabranche mittlerweile ein bekanntes Dilemma. Ein Dilemma, weil einerseits auf die Gefahren hingewiesen werden muss, anderseits damit aber auch eine nachteilige Beeinflussung ausgeht. Ein anderer diskutierter Problemfall: Experten gehen davon aus, dass durch die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen erheblicher gesundheitlicher Schaden – womöglich sogar mehr als durch das Rauchen selbst – angeregt und ausgelöst wird.


Das Wurst-Panik-Syndrom

  • Viele der modernen Zivilisationskrankheiten wie etwa die zahlreichen Lebensmittelunverträglichkeiten werden in hohem Maße auf Nocebo-Effekte zurückgeführt. Verblüffend ist, das diese Erscheinungen in Wohlstandsgesellschaften und hier wiederum in abgegrenzten sozial definierten Gruppen – nach Einkommen, Alter, Geschlecht – auffallend hoch sind. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass Personen mit einer Laktoseintoleranz nach dem Genuss von Käse über typische Beschwerden klagen, obwohl Käse so gut wie keine Laktose enthält.

    Die Reaktionen in der Öffentlichkeit über die WHO-Studie zu den krebsgefährlichen Wurst- und Fleischgenuss waren enorm, wie nur bei wenigen Themen zu dieser Zeit. Auch wenn Wurst und Fleisch nicht prinzipiell gesund sind, sind viele Experten der Ansicht, dass ein Konsum in Maßen nicht unmittelbar Darmtumore verursacht. Die Einstufung durch die WHO selbst stellt eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar, wie nach und nach in einzelnen Fachforen diskutiert wird.

  • Die Angst, wie sie derzeit mit großem Erfolg verbreitet wird, ist für viele nicht im Dienste der Prävention, sondern auch die eigentliche Gefahr. “Warum besteht die Fachwelt mit der WHO an der Spitze so hartnäckig darauf, sorgfältig auf ausgefeilte Bedrohungsszenarien mit dem klaren Ziel, Angst und Ekel auszulösen?” lautet z.B. die Frage eines Bloggers.

    Der Verunsicherung durch das Publizieren dieser Studie folgt das Verdammen. Nebenwirkungen, egal ob bewusst geschürt oder unbewusste Begleiterscheinungen, die durch Ihre Botschaft schlechtes Gewissen und Unsicherheit auslösen, sind auf jeden Fall nicht auszuschließen, eher wahrscheinlich. Die schlechte Nachricht ist das Problem, sind sich mittlerweile viele Forscher im klaren und fordern einen verantwortungsbewussteren Umgang mit bedrohlichen Informationen. Also Aufklären statt Angst schüren – im Dienste der Gesundheit.

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