Menschen, die rückwärts laufen, sieht man eigentlich nur in zurückspulenden Videos. Warum sollte man es auch sonst machen, das Rückwärtslaufen?

Nun ja, weil es gesund ist: Rückwärtslaufen stärkt die Muskulatur an der Wirbelsäule und in der Hüfte. Gerade für Menschen, die vorwiegend im Sitzen arbeiten, kann es als guter Ausgleich dienen. Außerdem werden Muskeln trainiert, die dazu andernfalls kaum in den Genuss kommen würden, aber auch die Gegenmuskeln jener Muskeln, die für das Vorwärtslaufen relevant sind.

„Für Menschen, die viel sitzen, ist Rückwärtslaufen ein hervorragender Ausgleich.“

Aus diesem Grund nutzen auch Spitzenvorwärtssprinter das Rückwärtslaufen im Training. Einige Sportmediziner empfehlen das Rückwärtslaufen als Ausgleich zum normalen Vorwärtslaufen, beispielsweise fünf Kilometer vorwärts und 500 m rückwärts.

Andererseits ist es auch nicht ungefährlich. Durch den vor allem anfangs ungewohnten Bewegungsablauf ist man einer erhöhten Sturz- und Verletzungsgefahr ausgesetzt. Dadurch, dass man nicht sieht, wohin man läuft, neigt man außerdem leicht dazu, häufig den Kopf zu drehen, was sich wiederum negativ auf die Rücken- und Nackenmuskulatur auswirken kann. Erprobte Rückwärtsläufer raten deswegen dazu, auf linierten Bahnen mit dem Sport zu beginnen.

Wie bei jedem Sport werden auch im Rückwärtslaufen Wettbewerbe ausgetragen. Im Jahr 2005 gründeten Vertreter aus 14 Nationen die Vereinigung „International-Retro-Runner” (IRR), die seit 2006 Weltmeisterschaften austrägt. Gelaufen wird dabei alles, was man aus der Leichtathletik kennt: vom 100 m Sprint bis zum Marathon. Auch das Regelwerk wird von den Vorwärtsläufern übernommen. Einzige Ergänzung: Die Zehen müssen immer nach vorne gerichtet, also ausgestreckt sein. Den Weltrekord im Retro-Running-Marathon hält der deutsche Langstreckenspezialist Achim Aretz mit drei Stunden und 42 Minuten. Das ist mehr als halb so schnell wie jener der Vorwärtsläufer (2h 02:57 des Kenianers Dennis Kipruto Kimetto). Im 100 m Sprint liegt die Bestmarke bei 13,6 Sekunden. Zum Vergleich: Der aktuelle 100-m-Weltrekordhalter Usain Bolt lief die 100 Meter in 9,58 Sekunden.

Ob es zur Etablierung als Spitzensport jemals reichen und ob Retro-Running sogar einmal olympisch wird, bleibt freilich offen. Bislang wird der Sport von einer idealistischen Vereinigung getragen, die Kommerz und Sponsoring noch ablehnt. Ebenso egal bleibt es dem Vernehmen nach auch, ob sich das Rückwärtslaufen tatsächlich etabliert oder nicht. Sollte es aber weiter an Popularität zunehmen, wird sich wohl auch das ändern. Im Übrigen: Das Rückwärtsschwimmen hat sich auch durchgesetzt. Rückwärtslaufen ist also nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Aber klar: Wäre das Rückwärtsgehen in irgendeiner existenzerhaltenden Weise sinnvoll für den Menschen, hätte die Evolution wohl auch ein Paar Augen für unsere Hinterköpfe übriggehabt. Aber andererseits ist das ja nur die Natur. Die lässt sich auch ganz einfach mit Rückspiegeln (in dem Fall eigentlich Vorspiegeln) überlisten.

Quelle: Der Tagesspiegel / SID

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